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Familienforschung
Mein Ur-Urgroßvater Hermann Kracht,
Kaufmann und Schneider (*19.10.1845 +02.01.1885)
Ausgerechnet Appelhülsen! Ist es Zufall, dass ich selbst vor über 15 Jahren
mal im beschaulichen Ortsteil Nottulns gewohnt habe und sich nun im
Nachhinein herausstellt, dass mehrere Linien meiner Vorfahren aus
Appelhülsen stammen? Auf jeden Fall konnte ich im Rahmen meiner
Familienforschung einiges über den Ort erfahren. Bekannterweise liegt
Appelhülsen im westlichen Münsterland, verkehrsgünstig an der A43
zwischen Münster und dem Ruhrgebiet. Dies war schon vor über 150
Jahren ein Standortvorteil, auf den ich gleich noch näher eingehen werde.
Auf der Suche nach meinen Ahnen bin ich über meine Urgroßmutter
väterlicherseits - Paula Kracht (*1880 +1956) - auf die Familie Kracht aus
Appelhülsen gestoßen. Aus Erzählungen meines Onkels Bernard Westphal
weiß ich, dass meine Urgroßmutter
als Schneiderin tätig war und „zwei
bis drei Schneidergehilfen
beschäftigte“. Vermutlich in
Heimarbeit, wie dies im
Münsterland in der Zeit um 1900 in
vielen Familien üblich war.
Dank der digitalisierten katholischen
Kirchenbücher waren Ihre direkten
Vorfahren schnell ermittelt. Und
doch endet meine Recherche abrupt
bei Ihrem Großvater Hermann im
Jahr 1825. In einer Aufstellung zur
Erstkommunion in St. Mariä
Himmelfahrt von 1825 wird
„Hermann Krags“ genannt (die Schreibweise des Nachnamens ändert sich
erst später von Krags zu Kracht). Doch trotz intensiver Suche lässt sich
nichts weiteres über seine Eltern in Erfahrung bringen.
Im Heiratseintrag von Hermann Krags und seiner frisch angetrauten
Gemahlin Gertrud Jöne aus Metelen vom 05.11.1842 findet sich in
krakeliger Schrift ein entscheidender Hinweis: der Vater des Bräutigams
sei unbekannt („pater ignotus“) und Hermann stamme vermutlich aus der
Region Dülmen. Weitere Angaben liegen nicht vor, leider auch nicht zu
seiner Mutter. Sein Geburtsjahr sei ungefähr auf 1815 zu datieren, da er
am 07. April 1825 zur Hl. Kommunion gegangen ist. Als Trauzeuge ist
übrigens Melchior Schulze Frenking eingetragen. Der Gräftenhof Schulze
Frenking ist wirtschaftlicher Mittelpunkt des Ortes Appelhülsen. Am 19.
Oktober 1845 kommt Sohn Hermann jun. zur Welt, mein Ur-Urgroßvater,
dem dieser Beitrag eigentlich gelten soll.
Aber noch kurz zu Hermann Kracht sen., denn in den
Kirchenbucheinträgen finden sich berufliche Angaben, die interessant
klingen. So wird er zunächst als Oelmüller bezeichnet, später dann als
Postillon. Hier knüpfen Berichte aus historischen Zeitungen an, die ich
über das Zeitungsportal Zeitpunkt.NRW ausfindig machen konnte.
Appelhülsen hatte zu damaliger Zeit eine im Vergleich zu den
Nachbargemeinden Bösensell und Buldern verkehrstechnisch
bedeutendere Stellung. Die Post-Direktion unterhielt vor Ort bis zu zehn
Postillone und knapp 50 Pferde, um die täglichen Verbindungen von
Münster über die „Weseler Chaussee“ nach Haltern, Dorsten oder Wesel
abwickeln zu können. Vor allem die Strecke von Münster bis Appelhülsen
soll für die Reiter sehr herausfordernd gewesen sein, so dass Mensch und
Tier strapaziert wurden und die Pferde „schweißnass“ in Appelhülsen
getauscht werden mussten. Ob der rege Personenverkehr auch für die
örtlichen Gasthäuser eine lohnende Einnahmequelle darstellte, bleibt zu
vermuten.
Hier nun wird es Zeit, über Hermann Kracht jun. zu berichten. Drei Jahre
vor Ausbruch der Deutschen Revolution 1848 erblickte er im Oktober 1845
als erstgeborenes Kind der Krachts das Licht der Welt. Familie Kracht
wohnte an verschiedenen Adressen in Appelhülsen, die alle der heutigen
Bahnhofstrasse zugeordnet werden können. 1873 heiratete Hermann seine
Frau Gertrud Bertels (*1851 +1918), Tochter des Johann Hermann Bertels,
Colon an der Wellstraße No. 9 in Nottuln. Sie hatten vier Kinder, darunter
mit Johannes (*1875) einen Sohn.
Bürgerschützenfest 1909 mit Johannes Kracht als Sternkönig
Blick auf meinen Stammbaum
Hermann Kracht
(*1845 +1885)
|
Paula Westphal
geb. Kracht
(*1880 +1956)
|
Karl Westphal
(*1919 +1997)
|
Heinz Westphal
(*1945 +2019)
|
Daniel Westphal
(*1975)
Paula Kracht, circa 1952
Im zugrunde liegenden Kirchenbucheintrag wird Hermann Kracht als
Kaufmann bezeichnet. Auch hier geben diverse Zeitungsannoncen aus der
Zeit näheren Aufschluss über seine Tätigkeit. Im Juni 1880 eröffnet er am
Bahnhof ein Kohlengeschäft. Er wirbt im Münsterischen Anzeiger damit,
dass er „beste Ware auf Lager habe“. Auch hier macht sich die
verkehrsgünstige Lage Appelhülsens bezahlt.
Der Bahnhof wurde im Jahre 1870 eröffnet, so dass beispielsweise
Schüttgüter deutlich einfacher transportiert und gehandelt werden
konnten. Im März 1881 offeriert Hermann Kracht „Junge Ferkel“ der
Rasse Holsteiner im Alter von 5 - 10 Wochen. Im August desselben Jahres
bewirbt er mehrere Waggons mit amerikanischem Mais, die er sackweise
zu billigen Preis anbieten kann. Womit man nicht alles Handel treiben
kann.
Zeitgleich ist Hermann Kracht auch Gastwirt. Im „neu erbauten Zelt“
findet im September 1881 „für Freunde des geselligen Vergnügens“ ein
Ball statt, der musikalisch von der münster‘schen Kapelle begleitet wird.
Welche Umstände dafür verantwortlich sind, dass sich die wirtschaftliche
Situation derart verschlechtert, dass Hermann Kracht Ende 1881 Konkurs
anmelden muss, ist mir nicht bekannt. Einer Bekanntmachung im
Münsterschen Anzeiger vom 29.11.1881 ist zu entnehmen, dass im Wege
einer Zwangsversteigerung u.a. „Tische, Stühle, Schränke, Spiegel, 4
Oelgemälde, sowie eine vollständige neue Bierpumpe“ veräußert werden.
Von diesem Rückschlag lässt sich Hermann Kracht scheinbar nicht
aufhalten, denn schon 1882 sucht er „zwei durchaus zuverlässige
Schneider-Gesellen“. Ein Jahr später wirbt er in der Zeitung damit, dass
er „unter günstigen Bedingungen gründlichen Unterricht im Maßnehmen
und Zuschneiden in der Herren-Confektion“ anbietet.
Mit nur 39 Jahren stirbt Hermann Kracht überraschend am 02. Januar
1885 in Münster im Clemens-Hospital. Laut der Sterbeurkunde ist er zu
dieser Zeit wohnhaft in der Klosterstraße 60 in Münster. Nähere Umstände
sind nicht bekannt. War es ein Unfall? Oder eine tödliche Krankheit? Seine
Frau und die Kinder bleiben in Appelhülsen wohnhaft. Der älteste Sohn
Johannes führt als Schneider den Beruf seines Vaters weiter, ebenso wie
auch meine Urgroßmutter Paula Kracht. Von ihr gibt es in unserer
Fotosammlung einige Aufnahmen, die sie als alte Frau zeigen. Von
Hermann Kracht existieren leider keine Bilder.
Das obige Titelbild - mit freundlicher Genehmigung des
Bürgerschützenvereins Appelhülsen e.V. - zeigt die Bürgerschützen aus
Appelhülsen im Jahr 1909 mit Johannes Kracht als Sternkönig. Sein Vater
Hermann Kracht jun. wurde im Jahr 1875, und somit 100 Jahre vor meiner
Geburt, Schützenkönig von Appelhülsen. In der Ahnenliste des Vereins
tauchen auch die Namen C. Westphal als Schützen- (1887) und Sternkönig
(1890) und Otto Westphal als Sternkönig (1911) auf. Über das
Vereinsleben waren die Familien Westphal und Kracht bereits verbunden,
bevor mein Urgroßvater Heinrich Westphal mit Paula Kracht 1914 eine
Familie gründete.
Münsterischer Anzeiger vom 29. Mai 1875
Appelhülsen, Bahnhofstrasse (um 1907)
Münsterischer Anzeiger vom 06.08.1881
Appelhülsen, Bahnhofstrasse (im März 2023)